Weimarer Erklärung

Positionspapier zu Straße und Verkehr

Die Delegiertenversammlung der Bundesvereinigung der Straßenbau- und Verkehrsingenieure e.V. BSVI beschließt in Weimar am 23. September 2011

Straße und Baukultur
– Weimarer Erklärung –

Die Werke der Ingenieurinnen und Ingenieure im Straßen- und Ver-kehrswesen prägen das Erscheinungsbild Deutschlands.
Kein Verkehrsweg, keine Siedlung oder Stadt ist denkbar ohne das Planen und Bauen der Straßenbau- und Verkehrsingenieure. Die daraus entstehende hohe Verantwortung für die Ingenieurbaukunst und die baukulturelle Qualität des öffentlichen Raums möchte die BSVI mit dieser Erklärung allen an der Verkehrs-, Stadt- und Landschaftsplanung Beteiligten ins Gedächtnis rufen. Für den Ort dieser Erklärung haben wir bewusst Weimar als BAUHAUS-Stadt gewählt.

So wie alle gesellschaftlichen Rahmenbedingungen einem ständigen Wandel unterworfen sind, müssen auch wir Ingenieure auf neue Herausforderungen reagieren. Verkehrsplanung hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte entscheidend geändert. Ansprüche der Mobilität – wie Verkehrsqualität und Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer – müssen heute mehr denn je mit den Belangen des Städtebaus sowie des Natur- und Immissionsschutzes in Einklang gebracht und den Bürgerinnen und Bürgern vermittelt werden. Bei den Wertmaßstäben treten Nutzerakzeptanz, Umweltsensibilität und die Gestaltqualität der Verkehrsanlagen und Bauwerke immer stärker in den Vordergrund. Daher rufen wir alle Bauschaffenden, die für den öffentlichen Raum Verantwortung tragen, auf, diese zehn Punkte zur Leitschnur ihrer täglichen Arbeit zu machen:

  1. Von uns Ingenieurinnen und Ingenieuren im Straßen- und Verkehrswesen erwartet die Gesellschaft, dass wir die Mobilitätsansprüche aller Nutzer im Kontext der gesell­schaftlichen Rahmenbedingungen mit Sensibilität für das Umfeld umsetzen.
  2. Wir Ingenieure sind einem gesellschaftlich verantwortungs­vollen Handeln verpflichtet, das sich auf Fachkompetenz stützt und dabei mit Weitblick über fachliche Grenzen hinaus denken muss. Dazu gehört auch ein kritisches Wort zur rechten Zeit.
  3. Die Mobilitätsansprüche aller müssen bei allen Planungen mit der örtlichen Raumsituationen und mit den umwelt- und energierelevanten Herausforderungen unserer Zeit in Einklang gebracht werden.
  4. Planen kann keiner allein. Nur im gemeinschaftlichen Arbeiten der am Bau Beteiligten lassen sich die zukünftigen Heraus­forderungen meistern und anspruchsvolle Verkehrsanlagen entwickeln, die auch baukulturell überzeugen.
  5. Wir alle sind aufgerufen, durch intensive und stete Kommunikation mit den verantwortlichen Entscheidern in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein Bewusstsein für eine hochwertige Gestaltung des öffentlichen Raumes zu schaffen und dies auch durchzusetzen.
  6. Alle Projekte – ob einfach oder anspruchsvoll – bedürfen der gleichen gestalterischen Sorgfalt und baulichen Qualität. Es sind die unzähligen kleineren „normalen“ Straßenräume, die das baukulturelle Bild unseres Landes prägen, und die für die Menschen die gleiche Bedeutung wie große Leuchtturmprojekte haben.
  7. Kreativität kann nur im Rahmen definierter Regeln erfolgen, weil nur so Werke entstehen können, die sich durch Funktions­tüchtigkeit, Bauqualität und Dauerhaftigkeit auszeichnen. Die Baukultur und auch das Technische Regelwerk sind jedoch Veränderungen unterworfen und müssen stetig weiterentwickelt und auch vermittelt werden.
  8. Die Kernaufgabe der Zukunft wird weniger der Neubau von Straßen und Brücken sein, sondern viel mehr die stete Erneuerung bestehender Infrastrukturen – oft verbunden mit Umgestaltungen. Dabei müssen Funktion, Kosten und Bauqualität in Balance stehen, um einen sozialverträglichen, gestalterischen und wirtschaftlichen Erfolg zu sichern.
  9. Brücken und Verkehrsbauwerke haben einen wesentlichen Einfluss auf das räumliche Erscheinungsbild unserer Umwelt. Deshalb bedarf es gerade hier der gemeinsamen Mühe von Bau-ingenieuren, Architekten, Stadt- und Landschaftsplanern um die gestalterisch überzeugende Lösung. Die Harmonie mit der Umgebung verlangt dabei nicht immer das Besondere.
  10. Als Berufsorganisation haben wir mit den beruflich verbundenen Institutionen eine gemeinsame Verantwortung für die Bildung unseres Ingenieurnachwuchses durch ein Mitwirken an den Universitäten und Hochschulen. Und auch die ebenso wichtige Fortbildung sehen wir als unsere ureigene Aufgabe an. Hierbei muss neben der grundlegenden Vermittlung der bau- und verkehrswissenschaftlichen Kernkompetenzen ein zukunfts­gerichtetes interdisziplinäres Denken und Arbeiten noch stärker verankert werden.

Die Offenheit für das Ganze, die Sensibilität für die Umwelt und das Streben nach Bauqualität muss uns Leitlinie sein bei der Entwicklung von Verkehrsräumen und Bauwerken in Stadt und Landschaft. In einem Dialog auf Augenhöhe mit den mitwirkenden Disziplinen können wir Ingenieure der baukulturellen Dimension der Verkehrsinfrastruktur gerecht werden, die uns in Verantwortung gegeben ist.
Wir Straßenbau- und Verkehrsingenieure sehen uns der Baukultur verpflichtet. Alle anderen Planer und Bauschaffenden sind aufgerufen, sich dem anzuschließen.

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